#3 Originalität
- David Buri
- 11. Nov. 2024
- 2 Min. Lesezeit
11. November 2024 Ich möchte loslassen. Unbeschwerte Stunden im öffentlichen Raum erleben. Einfach mal nicht nachdenken, ob es Fluchtwege gibt. Ein Kinobesuch, ein Konzertbesuch, eine Lesung, ein Einkaufsbummel ohne Panik. Mal keinen Notfallplan für einen Ausflug haben. Und während ich das schreibe, weiss ich, dass das noch nicht geht. Vielleicht die nächsten Jahre noch nicht.

Meine Angsterkrankung besteht seit 25 Jahren. Mir wurde mitgeteilt, dass die Genesung ungefähr so lange dauert, wie die Erkrankung mich schon begleitet. Meine Aufgaben für die nächsten Wochen und Monate werden darin bestehen, einen einstündigen Spaziergang begleitet von einer Expositionsexpertin ohne Bier und Banane stressfrei zu meistern. Immer und immer wieder die genau selbe Runde. In den ersten zwei Runden war meine Panik bisher noch gross. Panik durch die ich aber geführt wurde. Denn genau darum geht es. Die Nachricht an mein rasendes Gehirn soll lauten: "Egal was du sagst, David wird da durchgehen. So oder so. Du brauchst also nicht zu toben und nicht zu überdrehen. David ist in Sicherheit. Er bringt sich gerade in Sicherheit. Es ist genau das Richtige, das er gerade macht." Mein Gehirn ist über all die Jahre derartig daran gewöhnt Panik auszulösen, dass es glaubt, dass es gar nicht mehr anders geht. Ich weiss, dass es lange dauern wird diese beinahe schon Gesetzmässigkeit zu überschreiben. Die Verbindungen müssen auf eine gewisse Art neu programmiert werden. Es ist ähnlich wie bei Leuten, die glauben nicht singen zu können. In der Schule mussten sie vorsingen, und wurden darin bewertet. Und wenn man nicht zufällig eine klare Engelsstimme hatte, bekommt man den Stempel "Nichtsinger". Und das kann sehr traumatisch sein. Viele Menschen, die ich kenne, tragen das ein Leben lang mit sich herum. Nun braucht man seine Singstimme nicht unbedingt zum Überleben, aber manch einer nimmt diesen Glauben mit ins Grab. Dabei ist Singen eine der schönsten Sachen überhaupt. Jemand hat mir mal gesagt: "Dein Sinn des Lebens besteht darin dich in deiner Originalität zu leben und erleben." Ist es ein Gesetz des Universums, Gottes, dass je mehr ich mich öffne, desto mehr werden jene Teile wahr und sichtbar, die ich bereits von jeher zu Verfügung habe? Talente, die da sind, aber nicht rauskommen dürfen. Talente, die keinen Raum bekommen. Talente sind kostbar, man muss sie hegen und beschützen. Talente brauchen Mut sie anzuerkennen und sich mit Ihnen auf die Reise zu machen. Ich möchte eigentlich nur ich sein. Gefühle zulassen, meine Innenwelt erforschen. Fühlt man sich nicht erst richtig wohl bei jemandem, der mit all seinen Sinnen "da"ist? Jim Carrey schreibt in "Kidding" einer einer jungen Frau "Wir sehen uns am Gipfel."

Am Ende ist alles gut, ist es nicht gut, ist es nicht das Ende... Ist das nicht unglaublich spannend? Ich bin mittendrin im Leben in all seinen Facetten und Abgründen und habe zunächst den Mut gefasst meine Masken fallen zu lassen und nach Hilfe zu fragen. Und es kam Hilfe, weil wir alle Menschen sind. Wir brauchen einander, wollen einander helfen, nahe sein und einander verstehen. Und so ganz langsam traue ich mich zu glauben, dass hinter der endlos zähen, grauen Ängstwand etwas ist, das sich frei anfühlt. Neugierde. Gibt es das wirklich? Morgen ist Exposition drei. Ein Funken Vorfreude keimt auf. David

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